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Literarische Eseleien

"Nur Esel und Weiße gehen in der Sonne", sagt ein Indiowort aus Venezuela. Das ist nicht besonders schmeichelhaft, weder für die "Bleichgesichter" noch für die vierbeinigen Langohren, wenn man bedenkt, dass in dem südamerikanischen Land die Sonne etwas stärker brutzelt als in unseren mitteleuropäischen Breitengraden. Wir denken an sonnengegerbte, krebsrote Touristen – aber der Esel? Als dumm bezeichnet zu werden, hat er nicht verdient.

Natürlich, sein Ruf ist schlecht, er gilt als stur, träge und duldsam. Harte Arbeit und Schläge waren Jahrhunderte lang sein Los – und sind es vielfach heute noch. Doch das Image wandelt sich allmählich. Eselfreunde auf der ganzen Welt erkennen das Potential der sanften und geduldigen Grautiere. Und neuerdings bewähren die sich sogar als "Träger der Kultur" – im wahrsten Sinne des Wortes!

Einmal pro Woche belädt der kolumbianische Lehrer Luis Soriano aus dem Örtchen La Gloria seine beiden Esel mit Packsätteln und Büchern. Mit seinen "Bibliotheks-Eseln" bringt er den Kindern in den unzugänglichen Dörfern Kolumbiens Literatur. Inzwischen hat dieses Projekt Nachahmer gefunden. Die Privatuniversität Valle del Momboy in Venezuela setzt Maultiere ein, die Lesestoff in entlegene Andendörfer schleppen. Von Kenia ist außerdem eine Kamel-Bibliothek bekannt und aus Indien hört man von Lese-Elefanten.

Im Grunde sind diese tierischen Leseförderer nichts anderes als eine Variante der guten alten Fahrbibliothek. Bereits um 1905 startete in den USA das erste bücherbepackte Pferdefuhrwerk. Die Idee schwappte schnell nach Europa über. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die mobilen Büchereien verstärkt motorisiert. Heute betreiben viele deutsche Städte und Gemeinden Bücherbusse, um ihren Kunden lange Anfahrtswege zu ersparen. In Skandinavien gibt es zudem Bücher-Schiffe und -Eisenbahnen.

Alles schön und gut, die tierischen Bücherträger haben allerdings einen unschätzbaren pädagogischen Nebeneffekt: Sie begeistern Kinder für Bücher! Das wäre auch eine Idee für Lesemuffel hierzulande…

Bild: Janine Grimmig/pixelio.de

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