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Uhrgeschäfte

In einem Second-Hand-Laden kaufte ich mir auf dem Heimweg eine originell aussehende Uhr. Sehr günstig. Dann bemerkte ich, dass die Uhr nicht ging. Batterie leer wahrscheinlich. Auf meinem Weg lag ein Schmuck- und Uhrengeschäft. Ich ging rein. Eine Frau sah meine Uhr an. „Das haben wir gleich“, sagte sie. „Mein Sohn macht das.“ Ein Winkel war mit einem Vorhang vom Laden abgetrennt. Da saß der Sohn. Eine Wand war in dem Laden entfernt worden. Dadurch ging der Blick in einen weiteren Raum, der früher ein Geschäft für handgemachte Marionetten war. „Was kommt denn hier rein?“, erkundigte ich mich. „Die Werkstatt für meinen Sohn“, sagte die Frau. Dann reichte sie mir meine Uhr. „Jetzt ist eine neue Batterie drin“, sagte sie. Das kostete mich fünf Euro.

ZeitIch ging weiter. Ist Uhrmacher ein Beruf mit Zukunft? Sah so aus. Warum sollte sonst die Frau ihren Laden für ihren Sohn erweitern? Ich kam ins Überlegen. Wäre ja schön, wenn nicht nur Konzerne ständig expandieren. Auch Hand- werker haben also noch eine Chance. Beim Zeitschriften-Kiosk legte ich mir eine Illustrierte zu. Mit Verwunderung musste ich später beim Durchlesen feststellen, dass in dem Heft die Werbung für Uhren gut vertreten war. Teure Luxus-Uhren bis zu 25.000 Euro wurden mit einer ganzen Seite beworben, praktische Uhren für 150,- Euro mit einer Spalte. Scheint also ein gutes Geschäft zu sein, das Geschäft mit den Uhren, dachte ich mir. Hätte ich nicht gedacht. In dem Heft war sogar ein Bericht über einen Uhrmacher in Glashütte. Wie präzise diese Leute arbeiten mit dieser merkwürdigen Lupe, die ins Auge geklemmt wird. Mir blieb es trotzdem ein Rätsel, wie Uhrmacher all diese winzigen Teilchen zu einem Gerät zusammenschrauben konnten, das exakt Tag, Stunde, Minute und Sekunde angeben konnte.

UnruhIch hatte schon gehört, dass es Sammler von Uhren gibt. Und ich hatte schon gesehen, dass Zeitschriften und Bücher nur über Armband-Uhren existieren. Aber gibt es schon einen Roman über einen Uhrmacher? Alche- misten, Kartenmacher, Philosophen, Kanonengießer, Spione, Detektive, Piraten, Künstler, Medicusse, Mönche und Wanderhuren, die wurden schon in Büchern verewigt. Aber Uhrmacher? Da hat wohl noch keiner dazu Zeit gehabt. Ist das nicht spannend, über einen Menschen zu schreiben, der die Zeit in den Griff bekommen will? Mit Hilfe einer Sonnen-Uhr. Oder mit einer Sand-Uhr. Oder mit einer Wasser-Uhr. Oder mit einer mechanischen Uhr.

Ich nahm meine neue Uhr vom Arm. Nachdem ich sie vorsichtig vor mir auf den Tisch gelegt hatte, sah ich sie lange an. Die beiden Zeiger drehten sich über dem Ziffernblatt. Sollte ich einen Roman über einen Uhr-Macher schreiben? Warum nicht? Aber vorher sollte ich noch einiges erledigen. Abendessen einkaufen, abspülen, abtrocknen, Wäsche waschen, Gerümpel vors Haus stellen, Grillsachen für Morgen herrichten, meinen Freund anrufen, wann es morgen losginge mit der Grillerei, dazu die Badesachen, weil wir doch am Baggersee grillen, ach es gab noch so viele Dinge zu erledigen. Ich verlor schier den Überblick. Tatendurstig stand ich auf und drehte mich im Kreis. Wie ein Uhrzeiger.

Unruh von Hansjörg Betschart

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