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Was soll man heutzutage studieren? Oder: Warum Philosophie

Neulich überlegte meine Nichte, was sie gerne studieren würde. Sie liebt Tiere und Kinder, malt und zeichnet gerne, liest ein Buch nach dem andern, ihre Lieblingsfächer sind Deutsch, Ethik und Kunst, sie hasst Mathematik, Physik und Chemie …

Klarer Fall, dachte ich. Ich empfahl ihr, Lehramt zu studieren. Kunstlehrer werden wider Erwarten immer wieder gesucht. Und eine mögliche Verbeamtung ist auch nicht das Schlechteste.

Aber auf ein Dasein als Lehrerin hatte sie keine Lust. Dann gestand sie mir, dass sie 800px-Buenos_Aires-Plaza_Congreso-Pensador_de_Rodin.jpgüberlege, Philosophie zu studieren, so wie ich. Tja, da war ich in einem Dilemma. Ich konnte ihr weder wirklich zu- noch abraten. Ich fragte sie: Warum ausgerechnet Philosophie? Sie sagte, ihr falle schlichtweg nichts anderes mehr ein.

Ursprünglich wollte sie Verhaltensforscherin werden – so wie Jane Goodall. Aber Ethologen seien bekanntermaßen seit 30 Jahren so gut wie arbeitslos. Wer investiere heutzutage noch in die Beobachtung von Tierverhalten? Und andere biologische Fächer wie Biochemie, Genetik, Neurobiologie interessierten sie nicht.

Wie wärs mit Architektur, schlug ich vor. Sie verzog den Mund. Der Papa ihrer Freundin habe ihr abgeraten. Extremer Konkurrenzdruck oder ein Dasein als unterbezahlte Angestellte für hässliche Auftragsarbeiten. Und Möbeldesign? Mein heimlicher Favorit, wenn ich noch mal 20 wäre. Das könnten sich doch nur Töchter aus wohlhabendem Hause mit entsprechenden Verbindungen leisten, konterte sie abgeklärt. Und die Nachbarstochter, eine studierte Innenarchitektin, sei als Möbelverkäuferin in einem Eiche-Rustikal-Haus geendet.

Hm – ich überlegte weiter: Psychologen würden doch bestimmt immer gebraucht! Meine Nichte: Wer hört sich denn bitte freiwillig den ganzen Tag den Seelenmüll von irgendwelchen fremden Leuten an? Nee, sie leide gewiss nicht am Helfersyndrom.

Und Kinder- oder Tierärztin? Dann müsse sie Biochemie etc. pauken, siehe oben. Pfui Deibel! Außerdem: Kranke heulende Kinder und verletzte schreiende Tiere könne sie schon gar nicht ertragen.

Dann Erzieherin, schlug ich vor. Die Kitas der Zukunft brauchen Personal! Zu anstrengender Job bei zu geringer Bezahlung und wenig Aufstiegsmöglichkeiten, war ihr Einwand. Mir fiel nichts mehr ein.

"Ja dann studier halt Philosophie!" maunzte ich sie leicht resigniert an. "Wenn Du schnell und gut genug bist, kannst du dich immerhin noch bei McKinsey als Unternehmensberaterin bewerben. Oder du wirst Kellnerin, mies bezahlte freiberufliche Lektorin oder eine kurzfristig hippe Werbetexterin in einer angesagten Agentur – die suchen immer Frischfleisch. Und wenn das alles nicht klappen sollte, machst du eine philosophische Praxis auf. Am besten noch mit ein paar Jahren Lebenserfahrung als Asketin in Indien oder wenigstens als Yoga-Lehrerin in einem Ashram. Und wenn auch das nicht zu einem erträglichen Einkommen reichen sollte: werde Lebenskünstlerin. Und schreib ein Buch drüber: »Wie ich lernte, das Nichts zu lieben« oder so in der Art. Wird bestimmt ein Bestseller!"

Literaturtipps:

* Buch Was soll ich studieren?
* Buchreihe Studi-Kompass
* Buch Studi-Kompass 2011/2012 Kulturwissenschaften 

Autorin: Anne Eichmann
Bildquelle: Fabián Minetti / Wikimedia Commons

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