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Manuel Karasek in der Netzeitung über Thomas Mann, Die Betrogene

Von der Emanzipation im heutigen Sinne sind die Protagonistinnen von Thomas Manns letzter Erzählung "Die Betrogene" weit entfernt. Sie machen Gebrauch von einem Vokabular, in der Begriffe Körper, Seele und Blut eine entscheidende Rolle spielen. Auch in diesem Text geht es um das unglückliche Weltverständnis des alternden Erzähl-Zauberers Thomas Mann.

"Die Betrogene" ist Thomas Manns letzte Erzählung. Sie erzählt die Geschichte der etwa 50jährigen, in Düsseldorf der 20er Jahre lebenden Rosalie von Tümmler, die sich unglücklich in den jungen Amerikaner Ken Keaton verliebt. An sich ein gewöhnlicher, beinahe unaufregender Plot, aber als die Erzählung 1953 erschien, verursachte sie einen Skandal, weil Thomas Mann anhand seiner Hauptfigur die Wechseljahre und den damit verbundenen Rückgang der Menstruation thematisierte.

Was macht ihr aus der lieben Natur?

Das mag aus unserer Perspektive lächerlich erscheinen, jedoch liest man heute die betreffenden Textpassagen, muss man konstatieren, dass sie nicht zu den glücklichsten Augenblicken des Nobelpreisträgers von 1929 gehören. Das liegt nicht an der Wortwahl, sondern an der teilweise statischen Konstruktion, die das Verhältnis zwischen Rosalie und ihrer Tochter Anna umfasst. Der Gegensätze sind da viele. Die 29jährige wird durch einen "hinkenden Gang", der ihre "Mädchenerscheinung" im Blick des anderen Geschlechtes "verkümmert" aussehen lässt, behindert. Wenig erfüllt erscheint dem Leser dann auch ihr Leben. Sie hatte heißt es – nur "einmal geliebt" und "sich ihrer Leidenschaft qualvoll geschämt."

Die Gegensätzlichkeit beider betont Thomas Mann schließlich in der Beschreibung ihrer konträren Ideale und Ansichten. Einer der schönsten Stellen dazu befindet sich gleich zu Beginn der Erzählung, als Rosalie ein Bild der professionell malenden Tochter betrachtet. Die Mutter kann mit den Kegeln und Kreisen des abstrakten Gemäldes nichts anfangen und ruft aus: "Aber guter Gott, mein Kind, die liebe Natur, was macht ihr aus ihr!" Ein Großteil des Textes besteht aus den Dialogen beider Frauen. Die äußern sich über die Rolle der Frau folgendermaßen: "Unser Geschlecht verhält sich anders, leidet Schmerzen geduldiger, wir sind Dulderinnen, sozusagen zum Schmerz geboren."

Es orgelt wie bei Buxtehude

So entwickelt sich "Die Betrogene" zu einem Ideenstück, in denen Rosalie und Anna in würdevollem Deutsch über die Kunst, das Leben und "redliche Weibesschmerzen" referieren. Und würde die Erzählung nicht in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts spielen, man bräuchte den Protagonisten nur eine Toga überzuziehen, schon meinte man sich in einer Tragödie von Racine zu befinden. Trotz Thomas Manns großer Sprache, die wie eine Orgelfuge des Lübecker Organisten Buxtehude daher kommt, entwickelt er hier ein eher unglückliches Verhältnis zur Dramaturgie Übrigens: Es gibt ja einige, die meinen, dass Thomas Mann vor allem in seinem Spätwerk nahezu unfähig gewesen sei, Plots herzustellen. Diese vermeintliche Unfähigkeit brachte schon Vladimir Nabokov auf die Palme. Aber das muss den Thomas-Mann-Freund nicht weiter stören.

Man findet in "Die Betrogene" den nicht gerade geglückten Diskurs über die Menstruation vor. Und ach, da seufzen die Sätze: "Sei nur froh und stolz mit deinen dreißig Jahren", erklärt die Mutter, "dass du in voller Blüte deines Blutes stehst." Oder man hört einen biologischen Unterton aus den Reden heraus: "Immer, solange wir Weib sind, kein Kind mehr und noch keine unfähige Alte, immer wieder ist da ein verstärktes strotzendes Blutleben." Und als die Regel wiederkehrt, ruft die verliebte Rosalie nahezu Heureka. Das alles will man eigentlich gar nicht so genau wissen.

Gegen-sich-selbst-leben als Lebensphilosophie

Vieles davon ist natürlich geprägt von einem Lebensthema Thomas Mann: Dem unauflösbaren Gegensatz von Sinnlichkeit und Geist. Endlos brütet Rosalie über ihre Liebesverfallenheit zu dem jungen und attraktiven Amerikaner Ken Keaton: "Aber dem Wort der klugen Tochter von einem Gegen-sich-selbst-leben, dem hing sie grübelnd nach, und woran ihre Seele arbeitete, war, den Gedanken der Entsagung in den des Glücks aufzunehmen."

Es gibt einige schöne Passagen in dem Text, und für Thomas Mann-Fans ist die Erzählung sicherlich ein Gewinn. Auch wenn man etwas über den Geist der fünfziger Jahre erfahren möchte, dann ist "Die Betrogene" eine gelungene Wiedergabe der Rede- und Denkweisen der damaligen Zeit. Ebenfalls kann man in dieser Erzählung das Weltbild der Generation erkennen, die in den 70er und 80er Jahren des 19.Jahrhunderts geboren wurde: Ihre übertriebene Sittlichkeit, ihr daraus resultierende Konflikt mit dem Eros und dem Körperlichen, die Neigung zum Aristokratismus als Reaktion auf die Weimarer Republik. Das Prüde-Viktorianische dringt hier schön durch die sprachliche Matrix. Und man sieht, wie Thomas Mann den Kern des von ihm theoretisch aufgefassten Konfliktes aufzubrechen versucht.

Medizinische Fachsprache für eine sterbende Frau

Vor allem gelingt ihm das Ende. Rosalie erkrankt an Krebs und die letzte lebensrettende Operation scheitert. Großartig, wie da Thomas Mann vor allem die medizinische Fachsprache in seinen Erzählfluss einfügt. Und obwohl einem das Geschehen um die liebeskranke Frau gelegentlich die Nerven raubt, ist man doch erstaunlicherweise gerührt, als Rosalie stirbt. "Die Natur", sagte sie zuletzt, "- ich habe sie immer geliebt, und die Liebe hat sie ihrem Kind erwiesen." "Die Betrogene" gibt es jetzt in einer eindrucksvollen Hörfassung, gelesen von Inge Keller. Die notwendigen Kürzungen kommen übrigens der Handlung entgegen. Durch die verschlankte Version dringen dann auch mehr die Stärken Thomas Manns durch.

Thomas Mann: Die Betrogene, gelesen von Inge Keller. Patmos Verlag, Düsseldorf, 1998. Originalpreis 24,95 Euro. Jetzt bei Jokers: 7,95 Euro

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