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Das Diogenessyndrom

Kennen Sie das Diogenessyndrom? Dabei geht es um ein ganz konkretes Problem: Vermüllung. Eigentlich unsinnig, denn der Philosoph in der Tonne zeichnete sich ja dadurch aus, dass er nichts besaß und auch nichts benötigte. Nur die Sonne … So ergeht es mir in manchen Momenten auch. Wenn die Sonne scheint, brauche ich nicht viel zum Leben. Aber da bei uns leider eher selten die Sonne scheint, habe auch ich mehr als ich wirklich brauche. Ich sammle leidenschaftlich gern: Mineralien, Muscheln und Schnecken, Federn, tote Prachtkäfer und andere Relikte aus der Natur … Dann natürlich Fotografien, Zeichnungen, Filme und Musik-Alben. Aber vor allem ein Medium »vermüllt« langsam meine Wohnung: Bücher.

Die Bibliophilen unter Ihnen mögen mir diesen Begriff verzeihen, aber auch Bücher können Ausdruck unserer Überflussgesellschaft sein. Da helfen irgendwann nicht mehr noch so schöne Bildbände wie »Stauräume sinnvoll nutzen« oder »Neue Ideen für Büchersammler« und ähnliches.

Es gibt Tage, da muss man einfach mal ehrlich sein. Nicht nur gegenüber anderen Menschen, sondern auch zu sich selbst. Solche Tage hatte ich letzte Woche. Wir sprachen über einen Umzug in eine größere Wohnung. Diese größere Wohnung ist eigentlich ein Haus. Das Haus hat alles, wovon Otto Normalverbraucher so träumt: einen großen wunderschönen Garten ringsherum, eine Galerie, Dielen- und Steinböden, einen Holzofen, ja sogar eine kleine Sauna.

Doch es hat auch einen entscheidenden Nachteil: Der erste Stock ist eine Mansarde. Also ein Stockwerk mit Dachschrägen – fast bis zum Boden. Ein Albtraum für einen Büchersammler wie mich. Denn ich sammle alles, was behauptet, ein Buch zu sein: Lyrik-Anthologien und Fachbücher, Krimis und philosophische Essais, Weltliteratur und Comics, Bilderbücher und Bildbände über Kunst, Architektur, Fotografie …

Wohin also mit all meinen Schätzen? Das Haus mit den Dachschrägen war damit sofort passé. Doch dann stellte sich uns die nächste Frage: Selbst wenn wir eine Wohnung mit mindestens 200 qm (man darf ja mal träumen) und ausschließlich 3 Meter hohen, senkrechten Wänden finden würden – wer würde dann all unsere Bücher kistenweise über mehrere Stockwerke schleppen und wieder einsortieren? Und braucht man ein ganzes Stockwerk nur für Bücher?

Nee da war sie zerstört, meine bisher so selbstbewusste Identität als Bücherfreundin. Plötzlich empfand ich so etwas wie Scham und ich musste mir eingestehen: Ich bin ein Messie genauer gesagt: ein Bücher-Messie. Und was hilft bei dieser Variante des Diogenessyndroms?

Ich las das Buch »Die Wohnungs-Diät«. Darin war zu lesen: »Bücher sind Gebrauchsgegenstände, industrielle Massenprodukte. Bücher, die Sie nicht mehr haben wollen, sind Altpapier, genau wie ausgelesene Zeitungen.«

Die entscheidende Formulierung war: »die sie nicht mehr haben wollen«. Aber ich WILL doch ALLE meine Bücher behalten! Erich Fromm würde dazu ganz trocken bemerken: Sie leben mehr im Haben als im Sein. Ach ja der gute alte Erich. Vielleicht werden seine wunderbaren, aber bereits vergilbten Werke die ersten sein, die ich dem Altpapier zuführe. Und diese ganzen Ratgeber wie »Leichter leben ohne Ballast« oder »Jetzt räume ich endlich auf«. So was braucht echt kein Mensch nicht einmal ein Bücher-Messie!

Literatur-Tipps:

* Leslie Geddes-Brown: Räume für Menschen, die Bücher lieben
* Alex Johnson: Bookshelf
* Cyrille Frémont: Stauraum-Ideen
* E.L. Doctorow: Homer & Langley. Eine fast wahre Geschichte über zwei sammelwütige New Yorker…

Autorin: Anne Eichmann

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