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Jokers Morgen-Grauen, Teil 16

Ein Augsburger Optiker wirbt mit einem Plakat, dem ein professioneller Texter sicher gutgetan hätte: „Scha(r)f aussehen“ steht darauf zu lesen. Ein lustiges Wortspielchen. Nun sagt der Werbeprofi aber: Humor wird in der Regel nicht verstanden, dafür ist die Zeit, die der Betrachter auf eine Anzeige oder ein Plakat schaut, einfach zu kurz. Aber auf dieses Optiker-Plakat habe ich sogar eine gute Viertelstunde draufgestarrt, ohne zu kapieren, was gemeint ist. Die Klammer um das „r“ soll ja auf eine witzige Doppeldeutigkeit hinweisen. Aber was bitteschön soll ich mir unter „Scha(r)f aussehen“ vorstellen? Dass ich mit den Brillen des Optikers einerseits „scharf“, andererseits wie ein „Schaf“ aussehen kann? Letzteres möchte ich eigentlich vermeiden. Määääh. Wenn überhaupt hätte es heißen müssen „Scharf (aus)sehen“. Also, dass man mit den Brillen des Optikers wieder scharf sehen kann ohne den Model-Job an den Nagel hängen zu müssen.

An was die Werbungs-Menschen bei der Arbeit alles denken müssen, zeigen Wahlplakate. Man muss bedenken, wen man ansprechen soll, wofür eine Partei oder ein Kandidat steht, wann die Plakate aufgehängt werden und sogar, wo und wie die Plakate aufgehängt werden! Auf Wahlplakaten Botschaften unterzubringen, ist nicht leicht. Man hätte zwar viel Platz, aber die Botschaften sollen möglichst schnell erfassbar sein, z. B. auch vom Auto aus im Vorbeifahren und im volltrunkenen Zustand.

Um uns Wähler aber nicht unnötig zu nerven, sollte für Wahlplakate (müssen die überhaupt sein?) gelten: Bitte kein Humor, der ist eh’ meistens zu gewollt und zu platt. Bitte klare, knappe Botschaften. Und bitte nichts mit hohem Missverständnis-Potential.

Also bitte keinen jungen Mann vor einer Parkbank zeigen und „Mensch vor Bank“ drüber schreiben. Ich lach mich tot, aber dem Slogan hätte ein anderes, klareres, weniger „witziges“ Bild mehr geholfen. Oder, noch besser, gleich ganz ohne Bild. „Mensch vor Bank“ hätte jeder auch ohne blöden Bilderwitz verstanden.

Und bitte kein „Genug gelabert! 10 Euro Mindestlohn jetzt.“ Wozu braucht’s das „Genug gelabert!“? Das ist hier schon wieder zu viel gelabert. Wer hätte ein simples „10 Euro Mindestlohn“ nicht kapiert?

Und bitte kein „Statt Flaschen sammeln: 1050 Euro Mindestrente!“. Das ist nicht nur zu viel gelabert, sondern auch noch missverständlich. Sie glauben ja nicht, was ich da in der Straßenbahn schon an Interpretationen gehört habe: von „Kann man mit Flaschen sammeln wirklich 1050 Euro verdienen?!?“ bis zu „Soll man dann als Rentner die Flaschen einfach in den Hausmüll werfen? Das wär’ schon schön, wissen’s, ich darf nicht so schwer schleppen…“ war alles dabei. Ganz schlicht „1050 Euro Mindestrente“ hätte alles gesagt und (fast) keine Interpretationsmöglichkeiten offen gelassen.

Aber bitte auch nicht einfach „Mehr Bildung!“. Denn erstens nutzen alle Parteien genau diesen Slogan und zweitens habe ich da immer den Eindruck, man hält mich für ungebildet und ich soll gefälligst was für meine Bildung tun.

Im Grunde könnte man auch das alles weglassen und komplett auf Wahlplakate verzichten. Oder lassen Sie sich in Ihrer Wahlentscheidung von Wahlplakaten beeinflussen, die Ihnen „Einen schönen Sommer!“ wünschen?!?

Ein Glück, dass die Wahlen erst einmal gelaufen sind.

 

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