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Mittelmäßiges Heimweh

Wilhelm GenazinoWer sich auf den Autor Wilhelm Genazino einlässt, der muss damit rechnen, dass er mit merkwürdigen Dingen konfrontiert wird. Etwa damit, dass ein Mann, dessen Hauptbeschäftigung im Flanieren und Denken besteht, Luxushalbschuhe zur Probe trägt und darüber Gutachten verfasst. Oder ein anderer Mann sucht im Park nach Wacholderdrosseln. Nicht weil er Vogelkundler wäre, sondern weil er das Wort „Wacholderdrossel“ denken möchte. Ganz zu schweigen von Herrn Rotmund, der während einer Fernseh-Fußballübertragung ein Ohr verliert.

Klingt ganz schön schräg? Das ist es auch. Aber auf eine so schöne, ironische Weise, dass Wilhelm Genazino bereits viele Literaturpreise bekommen hat. Das Besondere ist dieser ganz eigentümliche, typische Genazino-Ton, der viel Wert auf detaillierte Beschreibungen legt und sich an scheinbar Nebensächlichem ergötzt. Die verschrobenen Denk-Kaskaden im Kopf seiner Hauptfiguren sind einfach sagenhaft. In der Regel geht es um Menschen, die sich irgendwie durchs Leben lavieren. Richtig schlecht geht es ihnen nicht, sie sind keine „Gescheiterten“. Sie sind mittelmäßig, kämpfen zwar die kleinen Schlachten der Geschlechter, lassen sich aber auf nichts so richtig ein. Sie beobachten. Und in diese beobachteten alltäglichen Banalitäten steckt Genazino eine subtile Komik, die die absurden Aspekte des Lebens greifbar macht.

Wer einmal völlig neue Wortkombinationen kennen lernen möchte, ist hier richtig. „Mittelmäßiges Heimweh“ – hier geht es um den oben schon erwähnten Verlust von Körperteilen des Herrn Rotmund – ist so ein kleines Juwel aus Wilhelm Genazinos Werk, das Sie bei uns als Hörbuch entdecken können. Der Preis ist allerdings nicht mittelmäßig, sondern bestens!

(Geschrieben von Matthias Stöbener) 

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