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On the Road in Ex-Jugoslawien

„Don’t judge a book by its cover”, heißt ein geflügeltes Wort. Was im übertragenen Sinne für Menschen gilt, nämlich sie nicht nach ihrem Aussehen zu beurteilen, sollte man auch bei Büchern beherzigen. Man könnte übelst auf die Nase fallen bzw. es entgingen einem wahre Kleinod, verließe man sich nur auf den schönen äußeren Schein. Neulich jedoch musste ich diese Regel brechen. Es ging nicht anders. Denn auf dem Umschlag prangte ein Volvo. Nicht irgendein Volvo, nein der legendäre 240er aus den 1970er-Jahren. Ein Auto wie ein Fels, quadratisch, praktisch, gut. Echt und ehrlich. Ein Schwedenpanzer, das Gefährt der Intellektuellen… Als bekennender Volvo-Fan konnte ich nicht anders und erstand das Buch – den Roman „Freelander“ von Miljenko Jergovic – und hatte dreifaches Glück: der Volvo spielt eine tragende Rolle; die Geschichte ist ebenso faszinierend wie fesselnd; der Autor stellt eine echte Bereicherung meiner kleinen Bibliothek dar;

Im Grunde ist es ein „Roadmovie“, ein „On-the-road-book“. Karlo Adum, pensionierter Geschichtslehrer aus Zagreb, wird zur Testamentseröffnung in seine Geburtsstadt Sarajevo zitiert. Nur widerwillig macht er sich auf die Reise und ahnt bereits das kommende Unheil, weswegen er sich mit einer Pistole bewaffnet. Ob er sie auch sicher bedienen kann, steht auf einem anderen Blatt. Der „Professor“ also macht sich auf den Weg mit seinem 30 Jahre alten Volvo, gehegt und gepflegt und in gutem Zustand. Er muss während der Fahrt Federn lassen, wie es auch sein Besitzer tut. Je mehr sich das eingespielte Team von zu Hause entfernt, desto bedrohlicher und verwirrender wird die Situation. Gewohntes löst sich auf, schreckliche Dinge geschehen unterwegs. Die Distanz zum sicheren Heimathafen wird größer und größer – und so entfernt sich Karlo Adum beständig von sich selbst, wird fahrig und unzurechenbar. Und auch sein Vehikel gerät immer mehr in einen desolaten Zustand – bis beide am Schluss mehr oder weniger zerstört sind.

Die innere Handlung beschreibt in Rückblenden die Lebensgeschichte des „Professors“. Während der Reise erinnert er sich an seine grauseme „Mama Cica“, die heftig mit deutschen und italienischen Offizieren flirtete und an seinen verrückt gewordenen Vater; an das Verlorensein und sich abgeschoben Fühlens; an die Kriegszeit und die Ära danach, als die UStascha Kommunisten vor der Kathedrale erhängten; und an seine eigenen Verfehlungen im alten Jugoslawien, in einer Welt voller nationaler Animositäten.

Miljenko Jergovic, geb. 1966 in Sarajevo, lebt in Zagreb. Er arbeitetals Schriftsteller und Kolumnist und ist einer der großen europäischen Gegenwartsautoren. Er begeistert als Sprachkünstler mit fulminanter Erzählfreude. Inspiriert durch die Landschaften, durch die die Fahrt geht, sinniert er mal heiter, nachdenklich, melancholisch oder urkomisch über die menschliche Dummheit und den Sinn des Lebens. Ein Wehrmutstropfen bleibt: Als echter „Volvoniac“ erträgt man es kaum, wie am Ende das schöne Automobil auf den Hund kommt…

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Autorin: Petra Anne-Marie Kollmannsberger

 

 

 

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