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Von Vielfraßen und Hungerkünstlern

Jetzt naht sie wieder, die gefährliche Zeit. Wenn im Frühling die dicken Winterpullover fallen, zeigen sich die Sünden des Winterhalbjahres. Schließlich mussten wir uns eine dicke Speckschicht zulegen, um die Kälteperiode zu überstehen. Dass wir Menschen nicht mehr in der Steinzeit leben und der Natur nicht mehr schutzlos ausgeliefert sind, scheint sich noch nicht im Evolutionsprogramm festgesetzt zu haben. Auch nicht, dass wir nicht mehr tagelang hinter Mammuts herschleichen müssen, um satt zu werden.


Es ist eine Binsenweisheit und im Grunde weiß es jede/r: Wir essen zu viel, zu fett, zu süß und bewegen uns zu wenig. Und uns ist sonnenklar: Eigentlich müssten wir unsere Gewohnheiten grundlegend ändern. Da der Mensch faul ist und ein Gewohnheitstier, probiert er es mit Diäten, die eine schnelle effektive Veränderung herbeiführen sollen. Dass das nicht funktionieren kann, sagt uns unser gesunder Menschenverstand, den wir jedoch geflissentlich überhören.


Diäten sind keine Erscheinung unserer modernen Zeit, es gab sie schon vor gut 2.000 Jahren. Und es waren keineswegs die Frauen, die damit anfingen. Vorreiter des Diätwahns waren über Jahrhunderte hinweg die Männer. Der antike Herrscher Dionysios von Herakleia entwickelte im 4. Jahrhundert v. Chr. allerdings eine ganz eigene Technik, um seine Körperfülle verschwinden zu lassen. Wie die Medizinhistorikerin Louise Foxcroft herausgefunden hat, verbarg er seine Fleischberge in einer Tonne, aus der nur der Kopf herausschaute. Da er ob seiner enormen Leibesfülle unter Kurzatmigkeit und komatösen Schlafanfällen litt, traktierten ihn seine Leibärzte mit langen, dünnen Nadeln, die sie in seine Speckrollen stachen, um ihm Sauerstoff zuzuführen. Auch der griechische Arzt Hippokrates plagte seine beleibten Patienten mit zweifelhaften Torturen. Er verordnete Brechkuren, ausgelöst durch einen Trank aus Ysop-Tee mit Essig und Salz.


Im 16. Jahrhundert begann Foxcrofts Forschungen zufolge ein regelrechter Boom an Diätratgebern. Vor allem die Werke geläuterter Vielfraße stießen auf reges Interesse. So hielt sich das Werk »Vom mäßigen Leben« des venezianische Kaufmannes Luigi Cornaro von 1558, der sich vom Völler zum Asketen wandelte, bis ins 20. Jahrhundert. Seine Lehre ist einfach wie freudlos: Gegessen werden sollte gerade mal so viel, wie zum Überleben notwendig ist. Er selbst soll zeitweise nur einen Eidotter pro Tag zu sich genommen haben und wurde mit dieser kargen Kost immerhin fast 100 Jahre alt.


Dieses Glück war dem englischen Dichter Lord Byron nicht beschieden, obwohl auch er zur Selbstkasteiung neigte. Beflügelt vom romantischen Ideal des ätherischen Poeten, gängelte er sich mit ausufernden Hungerkuren und Aderlässen, die ihn so schwächten, dass er 1824 mit 36 Jahren starb. Offenbar waren Schriftsteller besonders anfällig für solcherlei Kasteiungen, denn rund 100 Jahre später quälten sich Franz Kafka, Upton Sinclair und Henry James mit einer Methode namens »Fletschern« oder »Fletscherisierung«, entwickelt von dem amerikanischen Kunsthändler und selbst ernannten Ernährungsreformer Horace Fletcher. Dieser propagierte minutenlanges Kauen und strich alles vom Speisezettel, was Genuss versprach.


Das-weight-watchers-kochbuch.jpgErst vor rund 100 Jahren wurden Diäten eine weibliche Domäne, dann aber so gründlich, dass die Bemühungen der Männer um einen gertenschlanken Körper in den Jahrtausenden davor in Vergessenheit gerieten. Heute wimmelt es auf dem Schlankheitsmarkt nur so von Diäten mit den unterschiedlichsten Ansätzen: von Low Carb und Low Fat über Trennkost und die Blutgruppendiät bis zur Mayr-Kur mit trockenen Brötchen und der Rohkost-Methode.


Bei Jokers finden Sie eine Zusammenstellung von Büchern übers gesunde Essen und Kochen, die Sie nicht mit unsinnigen Hungerkuren quälen, sondern leichten Genuss versprechen.



Geschrieben von Petra Anne-Marie Kollmannsberger

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