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Flaschenpost aus Nicaragua Teil 5:

Ometepe zwischen Be- und Entgeisterung

Nachdem ich die letzte Woche hauptsächlich mit Gucken und Staunen beschäftigt war, konnte ich jetzt endlich wieder die Kinnlade zuklappen. Gar Wunderliches ereignete sich auf der doppelt vulkanisierten Indio-Insel Ometepe. Kurz-Info: gelegen im Nicaragua-See, 16-mal so groß wie der Bodensee, einziger Süßwassersee der Welt, in dem Haie leben, zwei Vulkane, die der landwirtschaftlich geprägten Insel die Form einer liegenden Acht geben, bedeckt von Nebelwald samt allem, was da kreucht und fleucht.


Holly und ich hatten uns in einem hängebematteten Hostel am Seeufer eingemietet. Dessen Betreiber organisiert nebenbei ausländische Freiwillige, die den Kindern der Umgebung Englisch-Unterricht geben. So kann er viele der Kinder anschließend im Hostel beschäftigen, was angesichts ihrer teilweise fatalen Lebensumstände eine Chance ist. Überhaupt trifft man an jeder Ecke auf die unterschiedlichsten Volunteer-Projekte. Zum Beispiel logierte zur selben Zeit wie wir eine christliche High-School-Klasse in unserem Hostel, um in der Taubstummen-Schule von Ometepe zu renovieren. Taubstumme Kinder gäbe es dort angeblich recht häufig, weil Schwangeren zeitweise ein schädliches Medikament verabreicht worden sei.


Mit so einem taubstummen Jungen hatte ich eine äußerst merkwürdige Begegnung: Beim Spaziergang kam mir der vielleicht 10-Jährige entgegen – im blauen Deaf-Kids-T-Shirt mit abgebildetem Gehörlosen-Alphabet, das von der High-School gesponsert war. Mit irrem Blick machte er eindeutig sexuelle Gesten und bedeutete mir mitzukommen. Als ich mich abwandte, klammerte er sich an mich und war kaum abzuschütteln. Völlig verdattert stolperte ich weiter in Richtung Middle of Nowhere zum Hippie-Camp InanItah. Umgeben von Bananen-Plantagen lag es in friedvoller Abgeschiedenheit am Vulkanhang des Maderas. Dort traf ich Zach wieder, dem ich in San Juan schon begegnet war. Der Alaskaner steckte gerade bis zu den Ellenbogen im Keks-Teig. Sie würden hier Seminare in Yoga, Tantra und erotischer Selbstöffnung besuchen und außerdem ganz arg viel über ihre Gefühle sprechen. Neben uns zündete ein gelangweilter Kanadier einen Sylvester-Knaller. Ich hatte genug gesehen Communities sind wohl keine wirkliche Option.


Am nächsten Tag machte ich mich abermals alleine auf (Holly hing immer noch wie betäubt in der Hängematte fest), den Vulkan Mérida bis zum Wasserfall von San Ramon zu erklimmen. Es war eine wunderbar einsame und Papageien umflatterte Route durch den Nebelwald. Hier kreuzte eine Schlange den Weg, da veranstalteten Brüllaffen ihr lautstarkes Konzert. Als die Dunkelheit hereinbrach, hatte ich eigentlich immer noch eine Stunde Fußmarsch vor mir. Doch da angesichts der spartanischen Infrastruktur jeder jeden mitnimmt, durfte ich hinten auf der Enduro eines freundlichen Nicos die Straße zum Hostel hinunter holper-dipoltern. Mit der High-School-Klasse noch schnell ein Gebet gesprochen und dann zurück nach San Juan. Dort widmete man sich direkt in der ersten Nacht im neuen Hostel-Schlafsaal lautstark eher weltlichen Aktivitäten, was morgens um sechs durchaus enervierend war, aber für alle unbeteiligt aus dem Schlaf Gerissenen auch eine gewisse Komik bot. Bis zum nächsten Mal verbleibe ich mit immer amüsierteren Grüßen,


Anja

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