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Keller im Keller

Uff! Es war mal wieder so weit: Mein Freund Bernhard hatte wie so oft einen Umzug vor. Hätte ich wissen müssen. Er zieht jedes Jahr mindestens ein Mal um. Beim letzten Mal habe ich ihm zu verstehen gegeben, dass ich ihm in Zukunft nur noch bei Umzügen helfe, die nicht in den dritten oder vierten Stock gehen. Wieder hat Bernhard seinen Umzug professionell vorbereitet. Die Regalbretter stehen der Größe nach an der Wand. Die Bücher sind in den Kartons. Die Kartons sind beschriftet.

"Das meiste kommt sowieso in den Keller", klärte mich Bernhard auf, als ich mich nach dem Stockwerk seiner neuen Wohnung erkundigte, wohin seine Utensilien geschleppt werden sollten. "Der Rest in den ersten Stock." Ich war dabei. Einige Kartons waren durch den mehrmaligen Umzug schon etwas ausgeleiert und an den Ecken leicht eingerissen.

Als ich einen schweren Karton mit der Aufschrift »Keller" schwitzend, stöhnend und schnaufend über unzählige Stufen in Bernhards neuen Keller hinunterschleppte, brach kurz vor dem Aufsetzen der Boden des Kartons durch. Ojemineh. Jetzt durfte ich auch noch die heraus gefallenen Bücher und CDs zusammensammeln. Siehe da: Auch eine Hörbuch-Box mit vier Novellen des Schweizer Schriftstellers Gottfried Keller war dabei. "Warum muss der Keller in den Keller?", dachte ich mir. Auf acht CDs lasen verschiedene Sprecher verschiedene Geschichten des Mannes, der am 19. Juli 1819 in Zürich geboren wurde und dort am 15. Juli 1890 verstarb. Bisher hatte ich noch nie etwas von Gottfried Keller gelesen, ein durchaus interessanter Mensch, der im Alter von sechs Jahren die Armenschule besuchte und später die Industrieschule wegen einem Lausbubenstreich verlassen musste.

Keller im Keller! Das war ein Hinweis des Schicksals! Ich steckte mir also das Hörbuch ein. Als wir alle Kisten und Möbel in die neue Wohnung transportiert hatten, ließ ich mich erschöpft auf das Sofa fallen. Allerdings konnte Bernhard noch keine Ruhe geben. Er begann seine CD-Anlage anzuschließen. Ohne die ist seine neue Wohnung keine Wohnung, meinte er. Weil er keine Musik-CD zum Auflegen fand, reichte ich ihm das Hörbuch von Gottfried Keller. Wir saßen dann wunderbar entspannt nebeneinander – jeder einen Hörstopsel im Ohr – und lauschten der angenehmen Stimme von Fritz Stavenhagen, der Kellers Erzählung "Der Schmied seines Glückes" vorlas.

Dabei dachte ich mir: Bernhards nächster Umzug darf bald kommen und er darf auch in den fünften Stock gehen.

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