Suche
Close this search box.

Das besondere Ticket

Engel„Es lebe der Zentralfriedhof und alle seine Toten“, singt Wolfgang Ambros, der österreichische Barde mit dem gewissen Schmäh. Ich machte am zweiten Tag meines Wien-Urlaubs eine lange Fahrt mit der alten Straßenbahn von der Wiener Innenstadt zum Zentralfriedhof. Als dann Schilder am Straßenrand auftauchten wie „Grab- steinland“ oder „Grabsteine-Sonder- preisaktion“ wurde mir klar, dass ich bald am Ziel sein werde. Ich stieg schon bei der Haltestelle „Zentralfried- hof, erstes Tor“ aus. Auch wenn es klang, als würde noch eine Haltestelle „Zentralfriedhof, zweites Tor“ kommen.

Die Sonne drückte sich durch die Wolken. Das Wetter war eher heiter als düster. Mir hätte ein nebliges Wetter für einen Gang über den Zentralfriedhof auch getaugt. Ich wanderte abseits des geteerten Hauptweges durch die Reihen von teilweise verfallenen und überwucherten Gräbern. Die eisernen Zäune um die Gräber rosteten vor sich hin. Dem einen oder anderen steinernen Engel am Grab war eine Hand, ein Kopf oder ein Flügel abgefallen. Der Verfall, der Weg aller Dinge, war hier deutlich zu sehen. Das gefiel mir. Keine renovierungssüchtige Hand hatte eingegriffen. Hier war noch alt, was alt geworden war. Ein Ort voller Wahrheit. Meine Seele atmete auf. Keine verschämten Schönheitsoperationen. Alles echt. – Ein Lob an die Friedhofsverwaltung des Wiener Zentralfriedhofs, falls die das hier lesen. Bitte weitersagen, falls jemand einen von denen kennt.

EngelIch wollte auch die Gräber von berühmten Menschen besichtigen und fotografieren. Aber ich verirrte mich in dem Meer aus Grabsteinen, Säulen und Tempelchen. Irgendwann, ungefähr nach einer Stunde oder mehr, war ich am anderen Ende des Zentralfriedhofes angekommen. Ich brauchte eine Pause. Die Fußsohlen brannten. Der Bilderspeicher-Chip in meiner digitalen Kamera war fast schon voll. Ich setzte mich auf eine Bank. Sie stand am Rande des geteerten Weges. Nein, eine Straße war das schon. Das tat gut. Auf der anderen Seite des breiten Weges sah ich ein Schild. Ein Halteschild für einen Bus. Ich ging hin. Tatsächlich: Dort war auch ein Schild mit den Abfahrtszeiten für einen Bus angebracht. Und siehe da, nach wenigen Minuten kam der Bus. Ich staunte. Ich stieg ein. Ein paar Leute saßen drin. Beim Lösen der Fahrkarte erkundigte ich mich beim Fahrer nach den Gräbern der Prominenten. Ich müsse nur bei der Station an der Aussegnungshalle aussteigen. Dort würde ich sie finden, kein Problem. Er wünschte mir noch einen schönen Aufenthalt beim Aussteigen. Ich bedankte mich.

Ganz tief steckte ich die Busfahrkarte in meine Tasche und dachte mir: Das ist ein besonderes Souvenir. Wer hat schon das Ticket eines Friedhofs-Busses?

Fortsetzung folgt.

Diesen Beitrag teilen:

Ähnliche Beiträge