
Meine Freundin liebt Lesen. Deshalb gab sie diese Tätigkeit auch unter "Hobby" einer Online-Kontaktbörse an. Und als Lieblingsbuch "Das Schloss" von Kafka. Bald darauf kontaktierte sie ein anscheinend netter Mann und schlug ein Rendezvous bzw. Blind Date vor. Meine Freundin las sein Profil, in dem als Lebensmotto stand: "Verbringe die Zeit nicht mit der Suche nach Hindernissen – vielleicht ist keins da. Aufgeschlossener Mittvierziger sucht flotten Käfer zur gemeinsamen Verwandlung." Natürlich identifizierte meine Freundin den ersten Satz als Worte Kafkas und war begeistert. Und Verwandlung: Da dachte sie natürlich an die „Verwandlung“ von Kafka. Kurzum: Sie stimmte dem Treffen zu.
Was sich ihr bei dem Blind Date dann allerdings präsentierte, hatte mit ihrer Vorstellung eines belesenen, interes- santen, gebildeten Mannes nur wenig zu tun. Es wäre zu intim, ins Detail zu gehen, wahrscheinlich liest meine Freundin mit. Es muss ein wahrhaft kafkaeskes Treffen gewesen sein, denn der Typ, so stellte sich heraus, hatte überhaupt noch nichts von Kafka gehört, war arbeitslos und wollte anscheinend nur seine Freundin betrügen. Als ich sie letztens fragte, ob sie denn Partner- börsen im Internet überhaupt für sinnvoll hält, überlegte sie kurz und gab dann lapidar zurück: "Es gibt unendlich viel Hoffnung. Nur nicht für mich."
Darf´s noch ein bisschen mehr Kafka sein?