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Einfache, aber kunstvolle irische Geschichten

DublinerWie oft ich „Dubliner“ von James Joyce schon gelesen habe? Schon öfter als viele meiner anderen Bücher jedenfalls. Jeder, der beim Namen James Joyce zusammenzuckt, kann sich entspannen. Es geht hier nicht um „Ulysses“ oder „Finnegan’s Wake“ – diese Werke gelten als schwierig und anstrengend und stehen auch in meinem Bücherregal nur teilweise gelesen herum.

Keine Sorge, „Dubliner“ ist völlig anders. Die Sammlung von 15 Kurzgeschichten des irischen Schrift- stellers ist weder kompliziert noch überintellektuell, sondern zeichnet das Bild des unteren und mittleren Dubliner Bürgertums in einfachen, aber kunstvollen Geschichten. Diese Geschichten sind chronologisch geordnet, sie beginnen in der Kindheit, einige handeln von der frühen Erwachsenenzeit, schließlich endet die Sammlung mit der Erzählung „Die Toten“ – diese hat John Huston 1987 verfilmt, der Film war für einen Oscar nominiert.

Man trifft in Joyces Kurzgeschichten auf ein junges Mädchen, das die geplante Flucht mit dem Geliebten aus lauter Angst doch nicht antritt, den zum ersten Mal verliebten Jungen und die einsame alte Jungfer ebenso wie eine durchtriebene Pensionswirtin und frustrierte ältere Männer, die sich fragen, ob ihr Leben so läuft, wie sie es sich gewünscht hatten. James Joyce zeichnet die Figuren seiner Heimatstadt realistisch und klar, er zeigt, wie sie sich etwas vormachen, vor sich selbst davonlaufen und sich in ausweglose Situationen manövrieren.

Zunächst wirken die Erzählungen fast banal, doch was beim Lesen kaum auffällt ist, dass jede Geschichte komplett durchkomponiert, strukturiert und fast unmerklich von Motiven durchzogen ist. Auch wenn Joyce vermeintlich typisch irische Verhaltensweisen darstellt und karikiert, zeigt sich in seinen Kurzgeschichten immer auch das Allgemeingültige.

Geschrieben wurde der Geschichten-Zyklus zwischen 1904 und 1907, und die Themen sind nach wie vor aktuell: Lebenslügen, Geldsorgen und Träume von einer besseren Existenz. Klingt doch wieder joyce-mäßig anstrengend? Nein, „Dubliner“ ist einfach ein Meisterwerk und zwar eines, das den Vorteil hat, dass man es genießen kann, ohne sich einen Knoten ins Hirn zu lesen.

(geschrieben von Matthias Stöbener)

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