Sommer-Mode! Ein heikles Thema. Was darf
Mann, was darf Frau anziehen, wenn die Sonne gnadenlos vom Himmel brennt? Was
sagen Sie zu Männern, die Sandalen mit Socken tragen? Was sagen Sie zu dicken
Frauen, die bauchfrei herumlaufen? Was sagen Sie zu Männern, die im Unterhemd
am Fensterbrett den Tag beobachtend verbringen? Was sagen Sie zu Frauen, bei
denen die Unterwäsche aus der Hose schaut?
Sie finden das geschmacklos? Ich kenne Leute,
die schauen bei solchen Ästhetik- Verstößen einfach weg. Ich bin ja sehr
tolerant, aber bei manchem Anblick friert sogar mein liberales Grinsen ein.
Gestern ist mir das wieder passiert. Ich sitze neben einer Brücke, bei einem
Denkmal auf einer Bank. Kleine Zwischenrast. Die Sonne scheint volle Pulle. Dreißig
Grad im Schatten! Zwei Radler mit kleinem Anhänger fahren vorbei. Komisches
Zeug ist in ihren Anhängern. Wollen sie zum Picknicken oder in den
Schrebergarten? Ich staune, wozu kann das Zeug gut sein? Ein Opa schiebt mit
einem Wagen vorbei. Sein Enkel sitzt auf merkwürdigen Dingen in dem Wagen. Ich
staune. Dann kommt ein Radler mit nacktem Oberkörper vorbei. Er hat auch einen
Anhänger an seinem Fahrrad. Drin ist dubiose Ware. Ich staune. Noch mehr
beschäftigt mich der Anblick des halbnackten Radlers. Er ist nur mit kurzer
Hose und Sandalen mit Socken ausgestattet. Sein Oberkörper ist braun gebrannt,
so gut ein normaler europäischer Oberkörper braun gebrannt sein kann. Ist das
auch eine Sommer-Mode? Ich finde diesen Kleidungs-Stil eigenartig. Muss das sein?
Warum dürfen das nur Männer? Ich habe noch nie eine Frau mit nacktem Oberkörper
im Sommer durch die Stadt fahren sehen. Am Strand oder im Bad, ja da sind die Oben-ohne-Frauen
schon Alltag. Vor längerer Zeit habe ich einen Mann in unserer Stadt gekannt,
der ist im Sommer immer mit nacktem Oberkörper auf dem Rad gefahren. Der sah
wie Sitting Bull auf seinem Mustang aus. Neben ihm sind immer zwei Schäferhunde
gelaufen. Das hat toll gewirkt. Aber dieser Radler mit dem Anhänger, der sah
aus wie ein Mann aus dem Finanzamt, der auch mal wissen wollte, wie es ist,
wenn einen der Staat ohne Hemd stehen lässt. Kein schöner Anblick, fand ich.
Beim Weiterradeln war ich gespannt, wann ich
den ersten halbnackten Auto-Fahrer hinter der Scheibe erblicken würde. Dieser
Anblick fehlte mir noch diesen Sommer. Hitze macht frei! Ein paar Grad mehr und
schon werden alle Konventionen über Bord geworfen. So schnell kann das gehen.
Ansonsten braucht es Jahrzehnte, bis sich die Sommer-Mode ändert. Aus braven
Anzugträgern am Sparkassenschalter werden am Feierabend Amazonas- Indianer. Ist
wie Karneval mitten im Sommer. Nach der Zwischenrast radle ich weiter. Die
Hitze ist enorm. Die Luft über der Straße flirrt. Ich komme zu einem Berg. Zum
Müllberg. Dort sehe ich, wie die Leute ihre Anhänger in einen Containern
leeren. Sie haben Schutt transportiert. Das war´s! Unglau- blich! Der halbnackte
Radler ist auch dabei. Vielleicht macht er es richtig und ich falsch?
Vielleicht sollte ich meine Kleidung auf den Müll werfen? Alles. Kann ich dann
die Hitze besser überstehen? Dürfen Menschen in Not-Situationen alle Rücksicht
auf Moden und Verhaltensregeln vergessen? Eine Fata Morgana taucht auf.
Mittendrin ein Herr namens Adolph Freiherr von Knigge. Ich erkenne ihn kaum. Er
sieht aus wie ein Tuareg. Diese Wüstenbewohner. Die in der größten Sahara-Hitze
in dunkle Kleidung gehüllt sind, von oben bis unten. Was wollte mir Knigge
damit sagen? Ich weiß es nicht, die Fata Morgana verschwand zu schnell.
Umgangsformen – ein moderner Knigge von Inge Wolff
Schon wegen meines sommerlichen Namens habe ich bei Sommerkleidung eine besondere Auffassung: Man sollte sich so anziehen, dass es einem gut tut und dem anderen nicht in den Augen schmerzt. Am schlimmsten finde ich im Sommer die Sonnenbrillen. Wenn einen die Leute nicht mehr in die Augen schauen können. Furchtbare Arroganz ist das.