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Im Alltag angekommen: Brigitte Reimann

Wer leuchten will, muss brennen, wurde über sie gesagt und Brigitte Reimann (1933 1973) brannte, sie brannte sogar lichterloh. Ihre Lebenskerze war an beiden Enden angezündet. Sie lebte exzessiv, voller Unrast und Verlangen; sie war nonkonformistisch, unangepasst und kompromisslos; sie war eine Getriebene, voller »Hunger auf Leben«, so der Titel einer Filmbiographie. Gleichzeitig quälten sie Selbstzweifel und tiefe Depressionen. Brigitte Reimann war eine zerrissene Persönlichkeit. Als Schriftstellerin in der ehemaligen DDR hatte sie den Anspruch, den jungen deutschen Staat voranzubringen. Darein setzte sie ihre ganze schöpferische Kraft. Zugleich jedoch verzweifelte sie mehr und mehr an den Auswüchsen ihres Landes, an der Bürokratie, Gängelung und Unfreiheit.

Plattenbau_by_Sarah Blatt_pixelio.de.jpgBrigitte Reimann ist uns vor allem mit ihrem unvollendeten Roman »Franziska Linkerhand« im Gedächtnis geblieben ein Werk mit autobiographischen Zügen. Es schildert die zunehmende Desillusionierung der jungen Architektin Franziska, die mithelfen möchte, menschenwürdige Städte im »Arbeiter- und Bauernstaat« zu bauen. Was idealistisch begann mit Licht, Luft und Raum für alle, endete »in der Platte«, lieblos hingeklotzten Einheits-Plattenbauten, hämisch als »Arbeiterschließfächer« bezeichnet.


Wie ihre Titelheldin Franziska ließ sich auch Brigitte Reimann von der Euphorie der Anfangsjahre in der DDR anstecken, als es darum ging, ein neues, anderes, besseres Deutschland aufzubauen. 1960 ging sie nach Hoyerswerda, das sozialistische Musterstadt werden sollte. Rund um das aufstrebende Braunkohlekombinat »Schwarze Pumpe«  war Wohnraum für die in großer Zahl zugezogenen Werktätigen geschaffen worden. Exemplarisch wurde hier auch der so genannte »Bitterfelder Weg« der DDR-Kulturkonferenz von 1959 in die Tat umgesetzt: Die Trennung zwischen KünstlerInnen und Volk bzw. zwischen Kunst und Arbeitswelt sollten aufgehoben werden. Die Kunstschaffenden arbeiteten im Kohlebetrieb mit unter dem Motto »Dichter in die Produktion!«. Und für die ArbeiterInnen hieß es: »Greif zur Feder, Kumpel die sozialistische Nationalliteratur braucht dich!« Auch Brigitte Reimann arbeitete Schicht und leitete daneben einen »Zirkel Schreibender Arbeiter«.


Unter dem Eindruck der real – existierenden Arbeitswelt prägte Brigitte Reimann schließlich eine eigene Literaturströmung in der DDR, die »Ankunftsliteratur« benannt nach ihrem Roman »Ankunft im Alltag« von 1961. Nach den Jahren des Aufbaus der sozialistischen Gesellschaft mit der Kollektivierung der Landwirtschaft und Verstaatlichung der Industrie war man nun im Alltag angekommen. Im Mittelpunkt der Werke stand nun nicht mehr der Aufbruch in eine neue Zeit, sondern der Mensch in einer entwickelten sozialistischen Gesellschaft mit seinen Hoffnungen und Zweifeln, Freuden und Sorgen. Auch Christa Wolfs »Der geteilte Himmel« (1963) zählt zur Ankunftsliteratur.


Brigitte Reimann war nicht nur zerrissen zwischen ihrem Glauben an einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz und der Wirklichkeit. Sie zerrieb sich auch in ihrer Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit in vier Ehen mit diversen Dreiecksverhältnissen und unzähligen Liebschaften. Mit 39 Jahren versagten ihre Lebensgeister und sie starb an Krebs.


In ihren Tagebüchern, geführt von 1955 bis 1970, gibt Brigitte Reimann schonungslos, offen und ehrlich Einblick in ihr rastloses Leben, ein Stück ostdeutsche Zeitgeschichte – bei Jokers als beeindruckende Hörbuch-Edition auf 4 CDs!


Brigitte Reimanns Tagebücher 1955 – 1970 auf CD bei Jokers


Geschrieben von Petra Anne-Marie Kollmannsberger



Bild: Plattenbaufassade © SARAH BLATT/www.pixelio.de

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