Vor Monaten war ich
in Prag. Es war kalt und viele Leute hatten dort Strickmützen auf. Bei einem
Gang über die bekannte Karlsbrücke war noch kein sommerlicher Touristenrummel
zu bemerken, keine Japaner, die den Weg über die Brücke verstopften. Die
Verkäuferinnen und Verkäufer von Souvenirs und Schmuck waren noch nicht
ausgelastet.
Der Inhaber eines
Souvenirstandes, er verkaufte Aquarell-Bilder von der Karlsbrücke, stand an
einem kleinen Gasheizer und blätterte mit Handschuhen gelangweilt in einem
Buch, das er las. Schon in der U-Bahn hatte ich einen jungen bärtigen Mann
beobachtet, der in einem Buch las. Als ich mich in einem Café aufwärmte, saß
dort auch ein Mann, der in einem Buch las. Normalerweise sind es meistens die
Frauen, die ich beim Lesen beobachte. Aber in Prag waren mal die lesenden
Frauen, zumindest in der Öffentlichkeit, in der Minderzahl.
Ich besuchte auch
ein nett gemachtes Wachsmuseum, in dem ich – so ein Zufall! – außer Elvis, Mozart, Mutter Theresa und dem
Dalai Lama auch einen lesenden Schwejk antraf. Auf dem großen Platz namens
Altstädter Ring lag plötzlich ein Buchladen vor mir. Der Franz-Kafka-Buchladen.
Im ehemaligen Galanteriewarenladen seines Vaters. Kafka ist ein immer noch
faszinierender Schriftsteller, der 1883 in Prag geboren wurde und mit
rätselhaften Büchern wie "Das Schloss" oder "Der Prozess"
bekannt wurde. Ich ging hinein. Der Laden war so gut ausgestattet, dass ich
richtig in Schmöker- und Kauflaune geriet. Übrigens waren darin zwei männliche
und eine weibliche Buchhändlerin. Ich legte mir einen Band mit Erzählungen zu.
So gelang es mir lesenderweise im nächsten Café nicht als Touri auffallen.