Am Feiertag gönnte ich mir einen Latte Macchiatto in meinem
Lieblingscafé. Andächtig tauchte ich gerade mein Amaretto-Keks
in den Schaum, als mich eine Stimme von hinten überraschte:
"Ich hab´ noch deinen Nietzsche!" Ich drehte mich,
etwas perplex, um. Kleinlaut stand da eine alte Bekannte vor
mir! Ja, stimmt, sie hat noch meinen Nietzsche – vor ungefähr
einem Jahr lieh ich ihr meine Ausgabe des "Zarathustra". Die
Lücke im Bücherregal füllte ich alsbald mit einem Werk über
Wagner – was gar nicht so weit hergeholt ist: Nietzsche hatte
nämlich ziemlich viel zur Wagnerischen Musik zu sagen – und
nicht nur Gutes, obwohl seine Einwände, wie er selbst betont
"physiologischer Natur" waren.
Physiologische Kritik an einem
Musikstück? Was hat es nur damit auf sich? Um das genauer
nachvollziehen zu können, muss man Nietzsche kennen: Das Genie
des Wortes vermochte es wie kein anderer, mit seinen Sätzen zu
erstaunen. Man denke nur an "Gott ist tot"… Welch´ Aufschrei
ging und geht da durch das Menschengeschlecht! Oh ja, ich liebe
Nietzsche. Aber Wagner auch. Also habe ich an jenem Feiertag
kurzerhand beschlossen, meiner Bekannten auch meine
Wagner-Ausgabe zu "leihen".