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Ringelnatz

Sonntag Abend. Ich habe Zeit. Genüsslich trinke ich an meinem Tee, strecke die Beine unter dem Tisch aus und versuche, mich wohl zu fühlen. Es klappt nicht. So sehr ich mich auch bemühe, innere Ruhe will sich nicht einstellen. Wo ist das Problem? Ich habe Zeit. Zeithaben – das ist das Problem. Ich bin es nicht mehr gewohnt. Der Trubel in der Arbeit lässt die Tage in Windeseile vorüber fliegen, die Abende und Samstage gehen mit dem vorweihnachtlichen Geschenk-Besorgen drauf. Und nun sitze ich hier, will die letzten Stunden des Wochenendes genießen – und scheitere. An der Zeit. Ich beginne, mich zu ärgern. Wie kann es sein, dass Zeithaben mir diesen Sonntag vermiest?

Joachim RingelnatzIch klicke ein wenig im Internet herum, schlage einige Bücher auf, doch es gelingt mir nicht, mich auf die Texte zu konzentrieren. Der Tee wird kalt, wütend stehe ich schließlich auf, schlendere betont gelassen zum CD-Regal und beginne, darin herumzuwühlen. Ich suche nichts Bestimmtes, ziehe nach dem Zufallsprinzip Disc um Disc heraus, werfe einen Blick aufs Cover, stelle sie zurück. Bis meine Augen an einem Hörbuch, das sich zwischen den Musik-CDs versteckt hatte, hängen bleiben: "Ich hatte leider Zeit", steht da drauf, 55 Gedichte von Joachim Ringelnatz. Ha, denke ich, da wollen wir doch mal sehen! Ich schiebe die CD in den Player, mache es mir im Sessel gemütlich und lausche – und habe schließlich einen der gemütlichsten Sonntagabende des vergangenen Jahres.

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