Es soll ja Menschen
geben, die sich selbst als gestandene Erwachsene immer noch in ihre Kindheit
zurücksehnen. Dazu gehöre ich sicher nicht. Ich bin ganz froh, erwachsen,
eigenständig, für mich selbst verantwortlich, kurz „groß“ zu sein. Dieses
Gefühl verstärkte sich noch, als ich neulich „Die Einsamkeit der Primzahlen“
von Paulo Giordano las. Darin schlagen sich zwei junge Menschen mit den
Traumata ihrer Kindheit herum, die sie lebenslänglich zu Randgestalten der
Gesellschaft machen.
So dramatisch war
meine Kindheit nicht. Dennoch konnte ich mich nur zu gut in die kleine Alice
hineinversetzen, die schon in frühester Jugend zum Skifahren verdonnert wurde.
Jeden Winter hatte sie sich in klirrender Kälte und aller Herrgottsfrühe mit
juckenden Strumpfhosen neben ihren Freunden auf der Piste einzufinden. Als sie
versteckt vor den anderen ihren natürlichen Bedürfnissen nachgibt, stürzt sie
ab. Zwar kann sie gerettet werden, doch ihr Bein bleibt gelähmt.
Mattia wiederum
wächst mit seiner geistig behinderten Zwillingsschwester auf. Eines Tages
werden beide zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Aus Scham vor der
behinderten Schwester lässt sie der Junge im Park zurück, wo das hilflose
Mädchen schließlich spurlos verschwindet.
Alice und Mattia
scheinen wie für einander geschaffen. Doch wie Primzahlen bleiben sie stets auf
Distanz zueinander, schaffen es nie, sich wirklich nahe zu kommen. Erst als
beide sich ihren Kindheitserinnerungen stellen, scheint der Bann gebrochen.
Bild: Kurt Michel/pixelio.de