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Flaschenpost aus Nicaragua

Teil 10Tod und Teufel

Eigentlich hat alles ganz harmlos angefangen. Am friedlichen Playa Popoyo war das gemeinsame Frühstück mit den Papageien Rosalita und Camillo schon die größte anzunehmende Aufregung. Allerdings gab es zwei Arten von Surfern: die stillen Einzelgänger, die morgens um sechs schon die ersten Wellen erwischten und die weniger stillen, die morgens um zehn beim ersten Bier prahlten, welch sportliche Meisterleistungen sie vollbringen würden, wenn sie es denn mal aufs Brett schaffen würden. Unnötig zu erwähnen, dass sich Jorge spontan unter letzteres Volk mischte. Und dann nahm das Unheil seinen Lauf.

Angeregt von der illustren Gesellschaft und einer beachtlichen Menge Alkohol beschloss Jorge, zwei Abreisende samt ihren abenteuerlich auf dem Autodach befestigten Surfbrettern ins zwei Stunden entfernte San Juan zu kutschieren. Und von dieser glänzenden Idee war ihre gleichgültige Fahrlässigkeit durch nichts abzubringen. Es wunderte auch niemanden, als Jorge am Abend nicht wieder da war. Schicksalsergeben sah Hotelbesitzer Gerado am darauffolgenden Tag in der Polizeistation von Rivas nach dem Rechten und traf Jorge tatsächlich dort an.

Die zwei Gringos hatte er anscheinend noch nach San Juan gefahren, aber auf dem Rückweg ist es dann passiert. Zusammenstoß mit einem Motorrad: ein Toter, ein Schwerverletzter. Ein Fahrerflüchtling – das war Jorge. Zwölf Jahre Gefängnis, hieß es zuerst. Eigentlich ging es mich nichts an. Und stocksauer war ich außerdem. Aber inzwischen fühlt sich jeder, den ich länger als drei Tage kenne, schon fast wie Familie an. Und wenn man ohne Kontakt zur Außenwelt im nicaraguanischen Knast sitzt (Essen gibt es nur, wenn Angehörige etwas bringen, keine Toilette, 20 Betten für 40 Personen), ist es vielleicht nicht schlecht, wenn wenigstens die Familie informiert wird. In diesem Fall war Facebook wirklich mal zu was nütze.

Um Jorges astronomisch hohe Hotel-Rechnung bezahlen zu können, musste ich bedauerlicherweise sein weitgereistes Surfboard verkaufen. Hätte ich im Bus nach Rivas sowieso nicht mitnehmen können. Dort traf ich dann Juan und Jorges Anwalt wieder. Der Anwalt versuchte bereits, mit der Familie des Unfallopfers eine Kompensationszahlung auszuhandeln, um eine gerichtliche Entscheidung zu verhindern. Das klappte auch ziemlich reibungslos. 20.000 Dollar – und Jorge war nach nur fünf Tagen rausgekauft. So einfach geht das.

Doch anstatt reumütig zu seiner völlig aufgelösten Familie in die Schweiz zurückzukehren, ist Jorge jetzt gutgelaunt nach Panama weitergereist. Nur der Gedanke an das viele Geld (und an das verkaufte Surfbrett) hat ihm ein bisschen die Stimmung verhagelt. Schließlich musste ein Zellengenosse für einen Mord nur 5.000 Dollar bezahlen. Frechheit. Weil mir zu diesem Thema nichts mehr einfällt, verbleibe ich jetzt mit sprachlosen Grüßen,

Anja

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