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Flaschenpost aus Nicaragua

Teil 9: Landpartie


Nachdem unser Haus nun anderweitig vermietet war, nutzen Juan, Jorge (eigentlich Roger, aber das kann ja keiner aussprechen) und ich die Zeit für einen Trip ins Zentrum Nicaraguas. Mit Jorges wieder gewonnenem Auto (ein Anwalt konnte es letztendlich aus den Fängen der Polizei befreien) hätten wir fast eine Kuh gerammt. Es war aber auch dunkel und nachts sind alle Kühe grau. Weil Autofahren nach Sonnenuntergang wegen fehlender Beleuchtung sowieso keine gute Idee ist, übernachteten wir in San Carlos am Rio San Juan (auf dem war übrigens seinerzeit auch Marc Twain mal unterwegs, jaja).


Bedauerlicherweise wohnte in dem »Hotel« auch ein Hahn, der schon des Nächtens seine ersten Stimmübungen zu absolvieren pflegte und weder den Mäusen im Bett noch der Moskito-Armada an Penetranz nachzustehen gedachte. Dafür gabs Fisch zum Frühstück. Dann fuhren wir weiter nach Mayasang, dem eigentlichen Ziel der Reise.


In dem kleinen Dorf verbrachte Juan die ersten fünf Lebensjahre, bis seine Familie durch den Bürgerkrieg nach Bluefields verschlagen wurde. Auf halber Strecke wollte Juan uns aber noch einen Wasserfall zeigen. Und so kam es, dass wir mitten im Dschungel in ein Polizei-Grill-Fest zu Ehren des Weltfrauentages platzten. Mit Tombola, Partyzelt und Hüpfburg sponsored by Handyanbieter Movistar. Junge Burschen sprangen beherzt Kopf voraus vom Fels ins Wasser und eine der gefeierten Damen drückte uns spontan eine Flasche des nicaraguanischen Haus-und-Hof-Rums Flor de Caña in die Hand. Na gut, warum nicht. Ironie des Schicksals: Einer der anwesenden Blauhemden unterrichtete ausgerechnet den unlängst aus dem Gefängnis entlassenen Jorge darüber, dass er sich hier absolut sicher fühlen könne, schließlich sei ja genug Polizei da. Nach dem massenhaft aufgetischten Fleisch mit Yuca (eine Wurzel, die gekocht wie Kartoffel schmeckt) haben wir uns trotzdem wieder verabschiedet, um endlich nach Mayasang zu kommen.


100_2611.JPGLaut Juan hat sich, seit er zuletzt vor 22 Jahren dort war, kaum etwas verändert. Nur die Hühner hatten inzwischen die Schotterwege wieder zurückerobert. Vor der kleinen Kneipe waren die Pferde der Cowboys geparkt. Großes Hallo bei der Ankunft, weniger wegen Juan, vielmehr wegen uns selten gesichteten Gringos. Ich wurde sofort auf ein Pferd gesetzt und bekam danach meinen ersten politischen Vortrag gegen Ortega gratis zum Bier serviert. Bisher gaben nur die schwarz-roten FSLN-Flaggen vor den oft skelettartig in der Landschaft herumstehenden Parteihäusern ein ebenso schräges wie allgegenwärtiges Bild ab. Nicht zu vergessen die pinken Wahl-Werbeaufkleber und »Daniel for President«-Graffiti an jeder Ecke. Aber im Nicaraguanischen Hinter(urwäldler)land gibt es ihn dann doch den Demokraten. Und der konnte vor lauter Begeisterung ob seines unerwartet eingetroffenen Publikums (und einer nicht unerheblichen Menge Toña) kaum an sich halten, im Fünfminuten-Takt seine Veteranen-Narben zu präsentieren.


Weil das nur ungefähr die ersten drei Mal interessant war und Juan die nächsten Tage mit Freunden und Familie in Erinnerungen schwelgen würde, verabschiedeten Jorge und ich uns bald vom Dorf-Stammtisch. Nächster Halt was für eine Überraschung! ein weiterer Surfstrand. Bis dahin verbleibe ich mit sommerfrischen Grüßen,

Anja

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