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Max Frisch und das Goldene Kalb

"Die Zeit verwandelt uns nicht. Sie entfaltet uns nur." Dieses treffende Zitat wird Max Frisch zugeschrieben. Um Worte war der Schweizer Literat wahrlich nie verlegen. Die Aufmerksamkeit des internationalen Publikums erregte Frisch mit seiner Rede "Am Ende der Aufklärung steht das goldene Kalb", die er anlässlich seines 75. Geburtstags am 15. Mai 1986 im Schweizer Solothurn hielt.

Max FrischFrisch erinnert uns darin an die biblische Geschichte vom Goldenen Kalb, wie sie im Alten Testament beschrieben worden ist: Moses hatte das Volk Israel aus Ägypten geführt und ihm das Heilige Land versprochen. An einem Punkt der langen und beschwerlichen Reise, noch immer ohne das Ziel in Sicht, hatte Moses sein Volk verlassen und stieg auf den Berg Sinai, um Gott zu befragen. Er kam erst nach langen 40 Tagen zurück, die Söhne Israels befanden sich in einem Zustand wachsender Angst. In äußerster Verzweiflung wandten sie sich an Aaron, den Bruder des Moses. Aaron riet ihnen, ihren goldenen Schmuck zu opfern. Er sammelte alles Gold, das sie hatten, schmolz es über einem großen Feuer ein und goss daraus das Goldenes Kalb. Dies, so erklärte Aaron, ist der neue Gott, der die Israeliten aus der Wüste in das gelobte Land führen werde.

Für Frisch steht das goldene Kalb am Ende der Aufklärung. Im Jahre 1986 hatte der politisch engagierte Autor bereits eine Stufe der Reflexion über sein eigenes Handeln erreicht, die es ihm nicht mehr erlaubte, blind Ideale zu vertreten.

Was würde Max Frisch heute sagen? Wurde der von ihm eingeforderte "Durchbruch zur sittlichen Vernunft" erzielt, ohne die ihm das nächste Jahrhundert undenkbar schien? Allen, die nun verneinen, die den Durchbruch der sittlichen Vernunft in weiter Ferne sehen, sei als Trost gesagt: Wenn man obigem Zitat von Max Frisch Glauben schenkt, so ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Vernunft entfaltet …

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