
Nachdem wir gemeinsam das Regal von oben bis unten immer und immer wieder abgesucht hatten, musste ich feststellen: „Ich habe es wohl verliehen.“ Doch an wen, daran konnte ich mich weiß Gott nicht mehr erinnern. Und dabei kam mir eine bittere Erkenntnis. Im Laufe meines Lebens habe ich eine Unmenge Bücher verliehen, von denen mehr als die Hälfte nie mehr zu mir zurück fand.
Spontan hielt ich eine stille Gedenkminute für all jene Bücher ab, die in den Untiefen fremder Wohnzimmer verschollen sind. Ich dachte an Harry Potter Band 1, 2 und 3, Marie Hermansons „Muschelstrand“, Marlen Haushofers „Wand“ und so weiter und so fort. „Nicht zu vergessen mein Poesiealbum“, erinnerte mich meine Frau. In der Tat. Vor einigen Jahren hatte sie die alte Schultradition noch einmal aufleben lassen und ihr Album nacheinander allen Freunden gegeben, damit sie sich darin verewigten. Es kam nie wieder zurück. Und so beschlossen wir kurzerhand, einfach keine Bücher mehr zu verleihen. Oder nur noch gegen eine Leihgebühr.
Ach du meine Nase. Ein Tatsachenbericht, bei dem ich mich spontan der Gedenkminute angeschlossen habe.
Solche „Egal-Was-Ausleiher-Und-Dann-Nicht-Zurückbringer“ gehören an den Pranger. Noch dazu mit einer dreilöchrigen Schandgeige. Eine Öffnung für den Kopf, die anderen beiden für die Hände. In die so fixierten Patscherln bekommt der Buch-Entführer ein Bohlenbuch und muss öffentlich daraus rezitieren. Als Zuhörer fungieren die leichteren Fälle, welche ihre Bücher zwar wieder abgeben – dies aber erst nach Monaten tun.