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Roman hin oder her

„Ich weiß, jeder von Ihnen hat bei sich daheim seinen eigenen Roman im Schreibtisch liegen.“ Das war der Lieblingssatz eines meiner Pro- fessoren. So begrüßte er uns Studenten zu fast jeder neuen Vorlesung. Ich habe mich nie darüber gewundert, doch neulich im Gespräch mit Freunden fiel mir auf, dieser Satz stimmt gar nicht.

„Ich habe zwar 14 Semester Neuere Deutsche Literaturwissenschaften studiert, ich habe sogar meinen Magister Artium darin gemacht“, meinte Henning, „aber nie habe ich einen eigenen Roman geschrieben. Nicht einmal angefangen habe ich damit. Mir hat die Theorie gereicht. Warum soll die Welt ausgerechnet auf meinen Roman gewartet haben?“

SchreibmaschineDa war sie. Die Frage, die sich wohl jeder Schriftsteller in spe früher oder später stellt: „Warum soll die Welt ausgerechnet auf meinen Roman gewartet haben?“ Auch ich frage mich das immer wieder, wenn ich die paar Seiten, die ich tatsächlich schon geschrie- ben habe, durchblättere. Oder wenn ich mir wieder einmal denke: „Das musst du aufschrei- ben.“

„Warum soll die Welt ausgerechnet auf meinen Roman gewartet haben?“ Ein Satz wie eine Mauer. Und doch: Wie viele Romane wurden geschrieben, um die eigene Idee zu Papier zu bringen, die eigenen Gedanken! Unabhängig davon, ob das Ergebnis eine große Menge Menschen kauft oder liest. Vielen Menschen mit einem Roman in der Schublade geht es schlicht darum, endlich die eigenen Gedanken aufzuschreiben. Zumindest Gerd gab mir Recht. „Mir ist es egal, ob mein Geschreibsel mal jemand liest. Wichtiger ist, dass ich mir die Dinge, die mich bewegen von der Seele schreiben kann. Auf die Befreiung kommt es an!“ Mich hat Gerd überzeugt. Meinen Freund Henning jedoch nicht. „Bücher zu lesen reicht mir voll und ganz. Ich muss sie nicht auch noch selbst verfassen.“

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