Der Mensch ist und bleibt ein Rätsel. Vor einigen Wochen sah ich einen Film über Menschen, die im Kreml leben und arbeiten. Darunter war ein alter Mann, der früher den Diktator Stalin beschützte und ihm auf Schritt und Tritt folgte. Dieser Mann erzählte, dass Stalin oft in der Nacht eine kleine Kapelle im Kreml besuchte und dort intensiv betete. Ich schüttelte nur den Kopf. Ein Kommunist, ein Mensch, der keine Skrupel hatte, seine Freunde umzubringen, ein Mensch, der Menschen wegen nichts und wieder nichts eiskalt erschießen ließ, mit Vorsatz Landstriche aushungerte, ganze Bevölkerungsgruppen umsiedelte und durch schwere Sklavenarbeit vernichtete, ein Mensch, der Millionen andere auf dem Gewissen hatte, ein solcher Mensch betet in einer dunklen Kremlkapelle vor der Ikonostasis? Gut, mir war bekannt, dass Stalin orthodoxer Priester werden wollte, bevor er sich den Bolschewiken anschloss, aber dass er im Grunde seines Herzens ein gläubiger Mensch blieb, das wusste ich nicht. Und irgendwie bringe ich es immer noch nicht mit seinen Verbrechen zusammen.
Heute Morgen stieß ich wieder auf seinen Namen. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte haben 70 polnische Familien gegen Russland geklagt wegen der sowjetischen Massenmorde an polnischen Offizieren und Zivilisten in Katyn während des Zweiten Weltkrieges. Das macht wieder bewusst, dass nicht nur Hitler und die Deutschen unvorstellbare Kriegsverbrechen begangen haben, sondern auch der sowjetische Diktator Josef Stalin. Nicht dass die Naziverbrecher beschönigt werden sollen, aber die Welt muss sich auch an die kommunistischen Verbrechen erinnern auch wenn es die ehemaligen Verbündeten von Stalin, die USA, Frankreich und England bis heute gerne vermeiden. Und auch wenn niemand, der an das russische Gas und die russischen Bodenschätze gelangen möchte, gerne daran erinnert. Wir werden sehen, was der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu Katyn spricht.
