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Betrachtungen des großen Zehs

Manchmal erzählt uns eine Freundin, die an der Universität Philosophie unterrichtet, von Diskussionen mit den Studierenden. In der letzten Sitzung ging es beispielsweise darum, was den Menschen zum Menschen macht. Das ist für mich immer noch eine ausgesprochen spannende Frage. Schließlich habe ich ja Theologie studiert, bevor ich im Verlagswesen landete.


Ja: Was macht den Menschen zum Menschen, was unterscheidet ihn von den Tieren? Oder: Gibt es überhaupt einen wesentlichen Unterschied? Groß ist die Bandbreite an Antworten. Am Schluss sind es immer die individuelle Weltsicht und das persönliche Selbstbild, von der die Ansichten geprägt sind. Macht den Unterschied die Fähigkeit zu ethischem Handeln? Oder der so genannte freie Wille? Die Bereitschaft zu lieben oder auch zu hassen? Leider lassen sich diese metaphysischen Konstrukte weder verifizieren noch falsifizieren kurzum: Man glaubt sie oder glaubt sie eben nicht.


Fuesse_by_Robert Babiak jun._pixelio.de.jpgDie Wissenschaft geht hier anders vor. Naturforscher untersuchen, welche physischen und auch psychischen Qualitäten im Laufe der Evolution auftraten, die den Menschen zum Menschen machten. Vielleicht hat der eine oder andere noch den Biologieunterricht im Kopf: Uns wurde vermittelt, dass vor allem der abspreizbare Daumen sowie der Kehlkopf des Menschen, der zur genauen Artikulation, mithin zum Sprechen befähigt, die Entwicklungsstufen für den Übergang vom Affen zum Menschen waren. Aber reicht das aus, den Unterschied zu erklären? Nein, sagt der Autor Chip Walter und belegt seine Thesen in dem Buch »Hand und Fuß« unterhaltsam und anschaulich. Neben dem Daumen und dem Kehlkopf waren auch der große Zeh sowie die emotionalen Fähigkeiten zu lachen, zu weinen und zu küssen daran beteiligt, dass der Mensch zum Menschen wurde. Der große Zeh? Die komische überflüssige dickliche Wurst am Fuß, die manchmal daran Schuld ist, dass uns Schuhe nicht richtig passen? Jawohl: Unser großer Zeh ist im Verhältnis zu denen anderer Primaten nicht nur verlängert, sondern auch von der Außenseite des Fußes nach vorne gewandert: Vom abgespreizten Greifzeh der Affen hat er sich zum Stützelement des aufrechten Gangs gemausert. Nur durch den großen Zeh konnte sich ein stabiler aufrechter Gang, mit der konsequenten Freiheit der Hände, entwickeln. Und hatte dabei noch weitreichendere Folgen: Die Hüfte des Menschen musste sich logischerweise der neuen Gangart anpassen, was wiederum zu einer Verengung des Geburtskanals und damit der Notwendigkeit der physiologischen Frühgeburt führte. Forscher gehen sogar so weit zu behaupten, dass durch die nun vermehrt als Werkzeuge und Greifinstrumente einsetzbaren Hände mit der einhergehenden besseren Ernährung das Großhirn in seinem Volumen so immens zunehmen konnte, dass eben unsere heutigen abstrakten Begriffe von Ethik, Moral, Glaube, Liebe etc. so entstehen konnten.


Spannend, nicht? Mehr dazu, wie uns die Evolution zu Menschen machte, erfahren Sie in »Hand und Fuß« von Chip Walter.


»Hand und Fuß« bei Jokers



Bild: Füße © Robert Babiak jun./www.pixelio.de

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