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Die Röhre ist weg

Ich habe mich getrennt. Vor einer Woche ist mein Fernseher kaputt gegangen. Ich schaltete ihn ein, es machte „pling“ – und das war es. Nach über 10 Jahren inniger Beziehung verabschiedete er sich von mir. Einfach so. Zu richten ist er nicht mehr, wie mir ein befreundeter Elektroniker verkündete. Sein fachkundiger Blick in die Eingeweide des Kastens verriet schnell: „Da ist nichts mehr zu machen.“

TVEs ist verblüffend. Seit ich „ohne“ bin, nimmt alle Welt Anteil an meinem „Schicksal“. Freunde, Arbeitskollegen, ja sogar Nachbarn, die beobachtet haben, wie ich den Fernseher aus der Wohnung getragen habe, fragen mich: „Was willst du denn jetzt machen?“ „Gerade in diesen düsteren Monaten hält es doch keiner daheim aus ohne Glotze.“ „Da wird man doch depressiv.“ Fast jeder, der von meinem Dasein „ohne“ erfährt, hat irgendwo einen alten Fernseher stehen, den ich natürlich gerne haben könne. Rührend einerseits, andererseits aber etwas beunruhigend. „Ist es denn so schlimm, ohne Fernseher zu leben?“, frage ich mich seitdem. Jetzt stehe ich an einem Scheideweg. Ich kann eins der vielen Angebote annehmen und mir wieder eine Röhre ins Wohnzimmer stellen. Ich kann es aber auch sein lassen und das Abenteuer eingehen, mal ganz ohne Fernseher zu leben. Das hat durchaus auch sein Gutes. Wie oft liege ich „nur so“ auf der Couch herum und sehe mir Sendungen an, die mich nicht wirklich interessieren. Einfach nur, weil mir gerade nichts Besseres einfällt. Wie viel sinnvoller könnte ich stattdessen meine Freizeit gestalten! Wieder zeichnen, Tagebuch schreiben, Musik hören oder lesen.

Die Entscheidung ist gefallen: Ich stelle mich der Herausforderung. Ein entscheidender Schritt zur sinnvolleren Freizeitgestaltung ist getan. Gestern habe ich das Podest, auf dem der Fernseher jahrelang als Mittelpunkt meines Wohnzimmers thronte, in den Keller gebracht. Erstaunlich viel Platz ist an dieser Stelle frei geworden. So viel Platz, dass gleich ein neues Bücherregal den Weg in mein Heim gefunden hat. In diesem haben jetzt die Bücher ein neues Zuhause gefunden, die schon seit Jahren ein nicht ganz artgerechtes Dasein in unserem Keller und unserer Wohnung fristeten. In alle Richtungen gestapelt standen sie in Bad, Küche, Schlafzimmer herum, waren zwischen andere Bücherreihen gequetscht oder lagen verstreut auf dem Boden in meinem Arbeitszimmer. Damit ist jetzt Schluss.

Seit die Glotze raus ist, habe ich schon deutlich mehr gelesen. Gestern habe ich endlich den überfälligen Brief an einen lieben Freund in Berlin geschrieben. Vorhin habe ich zum ersten Mal seit langem wieder meine Lieblingsmusik angehört. Das Experiment fängt an, Spaß zu machen. Mal sehen, wie es sich entwickelt … Für den Ernstfall habe ich ja noch das Internet!

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