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Was heißt schön?

SpiegelWas ist mit unserer Zeit geschehen? Was soll ich meiner jungen Nichte erzählen, die mit ihren 10 Jahren schon in den Spiegel guckt und feststellt, ihre Nase ist zu lang? Was soll ich ihr entgegnen, wenn sie erzählt, die Mutter ihrer Freundin hat sich kürzlich „neue Augen“ machen lassen. Damit meint die Kleine, dass jene Mutter sich liften ließ.

Soll ich sagen, dass das normal ist? Dass wir in einer Welt des Scheins leben, in der jeder, der mitreden will, glaubt, er müsse der Natur Einhalt gebieten? Ich erinnere mich noch gut daran, wie meine Großmutter früher meine Schwester, sie war ein paar Jahre älter als meine Nichte heute ist, beiseite nahm: „Iss gesund, bewege dich draußen, und ein wenig Nivea Creme – dann bleibst du so, wie du bist.“ Das Aussehen meiner Oma gab ihr Recht. Sie selbst hatte kaum Falten, sie wurde sehr alt, und vor allem: Wir liebten sie, auch wenn sie mit den Jahren ein wenig runder um die Taille wurde.

Arthur Schopenhauer hat einmal in einem Nebensatz geschrieben, „dass alles Schöne, was der Welt gehört, sich selbst zerstört und nicht erträgt die rohe Menschenhand“. Gut, Schopenhauer meinte sicher nicht jene chirurgischen Eingriffe, die schief gehen: Statt jung und schlank wachen die Damen und Herren ziemlich entstellt aus ihrem „Schönheitsschlaf“ auf. Schopenhauer bezog sich wohl eher auf die natürlichen Schauspiele, auf all jene schönen Bilder der Natur, die sich uns präsentieren: Berggipfel im Schnee, Flüsse im Morgenrot, ein Wald im Nebel… Diese natürliche Schönheit büßt ihre Anmut ein, wenn Berglifte sie durchziehen, Ströme begradigt und gestaut werden, der Wald abgeholzt…

Genauso so, wie der Liebreiz eines menschlichen Gesichts schwindet, wenn das chirurgische Messer sich daran austobt. Das ist zumindest meine ganz persönliche Meinung. Weil für mich Schönheit auch in fehlender Perfektion liegt: Eben in jener Biegung des Flusses, in jener unberührten Wildheit des Gipfels, in der unebenen Silhouette der Bäume… In jener Lachfalte am Auge, in jenem Schwung der Hüfte, in jenem schiefen Zahn …

(geschrieben von Matthias Stöbener)

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