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Wie wäre es mit dem Aussteigen?

Wie es wohl wäre, wenn man morgens nicht ins Büro gehen müsste, nicht aufs Amt, nicht zum Arzt, wenn man einfach nirgendwo hin müsste? Nur aufstehen. Nachdem man so lange geschlafen hat, wie man eben Lust hat. Keinen Plan für den Tag, gar nichts, kein Hauch von Terminkalender, kein Zwang, kein irgendwas. Verlockend. Aber auch ein bisschen unheimlich.

Zeit_vergeht_kl.jpgMit diesen Fragen habe ich mich während der Lektüre von Jakob Heins „Herr Jensen steigt aus“ auseinandergesetzt. Der nämlich wird von seinem Job als Postbote freigestellt und driftet in ein Dasein ab, das zu einem Großteil aus Denken, Schauen, Herumsitzen und Zeittotschlagen besteht. Zum Glück lässt er uns Leser daran teilhaben, so haben auch wir etwas davon und beginnen, Herrn Jensen zunächst ein wenig zu beneiden um seine viele freie Zeit.

Aber dieser Herr, der keinen Vornamen zu haben scheint und insgesamt ein reichlich blasser Zeitgenosse ist, flutscht einem als Leser regelrecht durch die Finger. Er hat weder Freunde noch Frau, zur Familie besteht wenig Kontakt, er hat keine Leidenschaften oder Abgründe, aber so einen richtigen Knall hat er auch nicht. Herr Jensen ist schwer zu fassen, wirkt ein wenig stumpf und stur und durch und durch grau. Der Neid verflüchtigt sich bald, macht aber auch keinem Mitleid Platz, denn Herr Jensen ist nicht wirklich arm dran oder eine zarte, verletzliche Seele.

Jakob Hein hat mit diesem Sonderling jemanden erschaffen, der die Welt im Laufe der Zeit durch ein immer verzerrteres Glas betrachtet und sich von der „normalen“ Gesellschaft Schritt für Schritt meilenweit entfernt. Ein Außenseiter im wahrsten Sinne des Wortes. Eine absolut lesenswerte Reise hin zur fast völligen Auflösung, ein ganz ruhiges, bedächtiges (nicht langweiliges!) Buch für jeden, der den Gedanken ans Verschwinden schon einmal gedacht hat.

„Herr Jensen steigt aus“ bei Jokers

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